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Der bipolar gestörte Narzisst und sein Umfeld

Als toxische Menschen werden sie auch bezeichnet (1): Narzissten, speziell in der Interaktion mit Empathen, also sehr einfühlsamen Menschen. Doch die narzisstische Persönlichkeitsstörung belastet nicht nur diejenigen, die mit einem Narzissten zusammenleben, mit ihm arbeiten oder anderweitig in Kontakt sind. Sie bedeutet ebenso viel Leid für den Betroffenen selbst. Auch wenn dies im Anblick seines zur Schau getragenen egozentrischen Verhaltens und seines häufig von Erfolg gekrönten Ehrgeizes nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich ist. Ich möchte beleuchten, welche Verhaltensformen beobachtbar sind und welche Folgen dies für das psychisch gesunde Umfeld haben kann, wenn ein narzisstisch gestörter Mensch gleichzeitig noch an der Bipolaren Störung erkrankt ist. Am Ende nenne ich zwölf Fragen, die sich empathische Menschen stellen sollten …

Geschrieben für: Menschen, die unter einem Narzissten leiden. Menschen, die durch die bipolare Störung eines nahestehenden Angehörigen, Freundes oder Geschäftspartners belastet sind. Menschen, die es mit einer Mischform aus Narzissmus und Bipolariät zu tun haben.

Neu ab August 2023: Meinen Blogpost mit den höchsten Zugriffszahlen zum Thema Narzissmus und bipolare Störung gibt es jetzt auch zum Hören!

Die beiden Störungen stelle ich zunächst ohne Anspruch auf Vollständigkeit vor. Im Anschluss erläutere ich meine Beobachtungen und Erfahrungen beim von mir vermuteten Zusammentreffen beider Störungen in ein und derselben Person, wozu ich eine eigene These aufgestellt habe (2). Der besseren Lesbarkeit halber verzichte ich im Folgenden auf die Nennung der weiblichen Formen: ein Erkrankter kann also immer auch eine Erkrankte sein, ein Narzisst auch eine Narzisstin. Mein Beitrag, die anonymisierten Beispiele aus meinen Erfahrungen sowie aus den Berichten meiner Gesprächspartner, meine These und die – entliehenen (3) – Metaphern von Cerberus und Ente mögen hoffentlich allen Betroffenen nützlich sein.

1. Bipolare Störung

Die Bipolare Störung ist eine psychiatrische Erkrankung, bei der der Betroffene zwischen extremen Gefühlen schwankt. Mit normalen Stimmungsschwankungen, die wir alle erleben, hat dies nichts mehr zu tun. Die Hochphase wird als Manie bezeichnet, die Tiefphase als Depression, weshalb die Störung früher auch als manisch-depressive Erkrankung bezeichnet wurde. Phasenwechsel können einerseits durch Ereignisse im Außen eintreten, andererseits auch ohne ersichtlichen äußeren Grund eingeleitet werden. Zwischen den Phasen kann es Zeiten der Ruhe und Stabilität geben, doch eine Heilung ist laut dem aktuellen Stand der Forschung (4) nahezu ausgeschlossen. Der Betroffene verbringt den Großteil seines Lebens in einer Art innerer Zerrissenheit, gefangen in einem Schwarz-Weiß-Muster ohne Mitteltöne, was die Krankheit u.a. von der unipolaren ‚normalen‘ Depression unterscheidet.

1.1. Einige Kennzeichen der bipolaren Störung in der (Tief-)Phase der Depression nach D. Illy:

  • Traurigkeit, gedrückte Stimmung
  • emotionale Leere und Sinnlosigkeit des Daseins – z.B. dadurch bemerkbar, dass man morgens kaum aus dem Bett kommt
  • Unfähigkeit, Freude zu empfinden, z.B. nach der Fertigstellung eines Projektes: denn irgendwas daran ist immer schlecht!
  • negatives Selbstbild und Eindruck der Wertlosigkeit – nicht ok zu sein, so wie man ist
  • Schmerzen / Unwohlsein
  • Kognitive Probleme, z.B. Sachverhalte korrekt zu erfassen, Begriffe richtig anzuwenden oder sich neues Wissen anzueignen
  • Erschöpfung bei innerer Unruhe
  • Scham, wenn klar wird, was man in der manischen Phase so alles angerichtet hat: welche überflüssigen Dinge man gekauft hat, welche Mails oder Textnachrichten man im Affekt geschrieben hat, welche privaten oder geschäftlichen Beziehungen man kaputt gemacht hat, etc.
  • Wahn, komplett zu verarmen oder Verfolgungswahn möglich

1.2. Einige Kennzeichen der bipolaren Störung in der (Hoch-)Phase der Manie nach D. Illy:

  • kein Gespür dafür, krank zu sein
  • gehobene Stimmung, gesteigertes Selbstbewusstsein bis zur Euphorie
  • aber auch starke Gereiztheit, häufige Konflikte – „wie die Axt im Walde“ bzw. „mit dem (pardon!) Arsch einreißen, was man mit den Händen aufgebaut hat“ sind beobachtbare Verhaltensweisen
  • starkes sexuelles Verlangen bis zur Hemmungslosigkeit
  • geringes Schlaf- und Nahrungsbedürfnis
  • ständig neue Ideen
  • tagelange ausschließliche Beschäftigung mit etwas, das Spaß macht, z.B. dem Schreiben eines Textes
  • starkes Redebedürfnis bis hin zu krankhafter Geschwätzigkeit (Logorrhoe)
  • starker Unterschied zwischen Selbst- und Fremdbild
  • Gespräche drehen sich meist um die betroffene Person selbst – inkl. Verlust der Empathiefähigkeit
  • Vernachlässigung der Körperhygiene
  • Größenwahn oder Halluzinationen (meist Stimmen) möglich

Nicht bei allen Betroffenen zeigt sich die Manie in der extremen Ausprägung. Eine mildere Form nennt sich Hypomanie, gekennzeichnet durch einen erhöhten Antrieb und etwas bessere Stimmung. Diese Variante ist für Nicht-Mediziner meist nicht erkennbar. Am Ende einer depressiven Phase ist es für Laien wie für Fachleute gleichermaßen schwierig zu erkennen, ob der Erkrankte zunächst in einen Normalzustand oder direkt in die Hypomanie gerät.

Um die Sache noch komplizierter zu machen, als sie eh schon ist: Es gibt in selteneren Fällen Erkrankte mit besonders häufigen Phasenwechseln (mehr als vier innerhalb eines Jahres bis hin zu stündlichen Schwankungen). Dies nennt man Rapid Cycling. Es gibt auch Mischphasen, in denen depressive und manische Symptome gemeinsam auftreten. Darüber hinaus gibt es weitere Erkrankungen, die öfter mit der Bipolaren Störung zusammen auftreten, wie die Angststörung, Zwangsstörung oder eine Sucht. Generell, aber besonders in der Mischphase, sind Erkrankte erhöht suizidgefährdet.

1.3. Gründe für die Bipolare Störung

Die Entstehungsmöglichkeiten dieser psychischen Erkrankung sind vielfältig und noch nicht vollständig erforscht. Mögliche Ursachen sind:

  • die Gene – es wird nicht die Krankheit direkt vererbt, sondern lediglich die Anfälligkeit dafür, weshalb es in Familien häufig, jedoch nicht zwangsläufig, mehrere Krankheitsfälle gibt
  • zu viel Dopamin im Gehirn
  • ein ungesunder Lebensstil
  • eine schwere Kindheit mit Vernachlässigung, Gewalt, Missbrauch oder anderen traumatischen Erlebnissen
  • Alltagsstress jenseits der Normalbelastung – wo die Grenze des Tragbaren liegt, ist von Mensch zu Mensch verschieden …
  • Erstmaliger Auslöser der Krankheit oder eines späteren Phasenwechsels können bestimmte der genannten Faktoren sein, aber auch schöne Erlebnisse, z.B. eine neue Liebe oder ein abgeschlossenes Studium können die Krankheit erstmalig auslösen bzw. später einen Phasenwechsel einleiten

 


2. Narzissmus

Persönlichkeitsstörungen wie der Narzissmus zählen zwar nicht zu den Krankheiten, bekommen dafür (auch) oft das traurige Urteil: lebenslänglich. In Kombination mit Erkrankungen – wozu die Bipolare Störung ja zählt – „haben diese so genannten multiaxialen Störungsbilder gravierende Folgen für die Lebensqualität von Patienten, denn ihre Verhaltensmuster weichen meist erheblich von einem flexiblen und der Situation angemessen Erleben und Verhalten ab.“ (5) Acht bis zwölf Prozent der deutschen Bevölkerung haben laut der Psychologin Sabine Wery von Limont eine Persönlichkeitsstörung.

In der griechischen Mythologie war Narziss der schöne Sohn des Flussgottes Kephissos und der Leiriope. Er fand sich selbst so schön und großartig, dass er die Liebe anderer verschmähte. Zu guter Letzt jedoch verliebte er sich in sein eigenes Spiegelbild und ertrank im Teich. Statt eines Leichnams fanden die Nymphen lediglich eine gelbe Blume, die heute den Namen Narzisse trägt …

Narzissmus kann viele Gesichter haben, und bei den allermeisten davon wird klar, wieso Menschen mit der narzisstischen Persönlichkeitsstörung oder mit ausgeprägten narzisstischen Charakterzügen auch als toxisch, also als giftig, bezeichnet werden: Wenn du mit ihnen Kontakt hattest, fühlst du dich hinterher schlechter als vorher. So, als ob du einer krank machenden Substanz ausgesetzt warst. Oft kannst du das möglicherweise zunächst gar nicht klar benennen, manchmal redest du dir die Begegnung vielleicht noch schön. Doch spätestens mit etwas zeitlichem Abstand beginnt das Gift in dir zu wirken und du merkst: „Die Art und Weise dieses Menschen hat mir nicht gut getan.“ Einen Narzissten über einen kurzen Zeitraum an seiner Seite zu haben, kann auch beglückend, inspirierend oder regelrecht berauschend sein, doch sein Durst nach uneingeschränkter Anerkennung bei gleichzeitiger Ablehnung der (ihm nicht in die Karten spielenden und deshalb unbequemen) Bedürfnisse seiner Mitmenschen macht den Kontakt langfristig anstrengend – und ungesund für deine eigene Seele.

2.1. Typische Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster eines Menschen mit narzisstischer Selbstwertstörung:

  • fühlt sich als Ausnahmewesen, das Besseres verdient; sieht und bezeichnet sich auch durchaus selbst z.B. als „Diva“ oder „Star“
  • ist sehr ehrgeizig und meist entweder in führenden Positionen oder als Einzelunternehmer tätig – einen Chef über sich – oder eine andere Meinung – kann der narzisstisch verwundete Mensch nur schwer ertragen
  • ist überempfindlich bis hochgradig reizbar
  • sieht bereits die kleinste Kritik oder ein für andere Menschen bedeutungsloses Detail wie einen unaufgeräumten Arbeitsraum als Zeichen mangelnden Respekts und als Angriff auf seine Person
  • kann eine Zurückweisung nicht überwinden
  • weiß sich gut zu verkaufen und ist stets auf seinen eigenen Vorteil bedacht, bis hin zur Skrupellosigkeit vermeintlichen Konkurrenten oder Kollegen/Geschäftspartnern gegenüber; z.B. verteilt er zugesagte Projekte ohne Rücksicht auf bereits geleistete Arbeit oder geblockte Zeitkontingente neu, wenn es ihm opportun erscheint – eine persönliche Benachrichtigung des betroffenen Mitarbeiters oder eine Erklärung seines Verhaltens hält er für überflüssig
  • schafft es nicht, sich an seine Umwelt anzupassen, verlangt aber genau dies von der Umwelt
  • fühlt sich zu nichts verpflichtet (z.B. in Sachen Pünktlichkeit oder Einhaltung von Zusagen, siehe Beispiel oben), erwartet jedoch selbst höchste Beachtung und Privilegien; es ist z.B. schon völlig ausreichend, wenn er bei der Verteilung von Lob und Ehre einen seiner Meinung nach zu geringen Anteil abbekommt oder wenn seine ‚Bühne‘ nicht perfekt vorbereitet ist, um es sich mit ihm dauerhaft zu verscherzen
  • kann sehr charmant, verführerisch bis charismatisch erscheinen – vor allem, wenn sich daraus für ihn ein Vorteil ergibt
  • zeigt sich wenig empathisch, Gefühle und Bedürfnisse anderer lassen ihn weitestgehend kalt; wenn seine Umgebung unter seinem Verhalten leidet, tangiert ihn das nicht besonders oder löst sogar eine reaktive Wut aus, weil er nicht in der Lage ist, die Perspektive eines anderen einzunehmen. Er hat nicht wirklich gelernt, mit seinen eigenen Emotionen umzugehen, geschweige denn mit denen anderer Menschen.
  • nutzt andere Menschen aus und manipuliert sie – dann durchaus auch instrumentell-empathisch –, um eigene Ziele zu erreichen; Schmeicheln, Loben, schwarze Rhetorik, Verdrehen der Wahrheit, Auslösen von Schuldgefühlen oder Einschüchterungsversuche zählen zu den Manipulationstechniken, die oftmals allesamt virtuos innerhalb eines einzigen Dialogs – bzw. vortragsmäßigen Monologs – oder einer E-Mail angewendet werden
  • kann den inneren Spannungszustand subtil und/oder aggressiv atmosphärisch entladen, sich dadurch entlasten und andere so mit Anspannung aufladen (wer mehr darüber lesen will, sucht nach dem Stichwort projektive Identifizierung)
  • steht gerne in der ersten Reihe oder im Rampenlicht – wenn dies nicht geht, sucht er privat und/oder beruflich die Gesellschaft berühmter Leute, um den eigenen Wert zu verbessern, sich in deren Glanz zu sonnen bzw. seine Wichtigkeit bestätigt zu sehen
  • dreht sich thematisch fast ausschließlich um sich selbst und erwartet dies auch von allen anderen; berichtet man einem narzisstisch gestörten Menschen z.B. von einem persönlichen Leid oder Stress, so schafft er es mühelos, in seiner Antwort nur über sich selbst zu reden oder zu schreiben – sofern er sich überhaupt dazu herablässt, sich mit dem Thema eines anderen zu beschäftigen
  • ist grundsätzlich nicht schuld, z.B. an einer Absage, einer gescheiterten Beziehung oder am Verlust eines Kunden – die anderen haben schlicht nicht erkannt, wie großartig er ist
  • beklagt sich bei seinen wenigen Vertrauten, oft unter Verwendung hässlichster Bezeichnungen, gerne über andere Leute und deren dummes, undankbares oder bösartiges Verhalten – meist, weil er nicht z.B. an Honorar, Hotelzimmer, Ausstattung oder Beachtung bekommen hat, was er glaubte, verdient zu haben und sein Genie verkannt worden ist. Die Grenzen zum Verfolgungswahn sind hier fließend.
  • ist in seinen eigenen Denk-, Gefühls- und Verhaltensmustern gefangen, leidet auch verdeckt sehr unter diesem Gefangensein
  • im „stillen Kämmerlein“ spürt er mit zum Teil großer Scham seine beruflichen oder sozialen Versagenserlebnisse und hat dann öfter massive Selbstwertzweifel, die er nach außen durch eine Fassade von Sicherheit abschottet
  • so ist er gestaltend, manipulierend, leidend oder beschämt ständig unter Druck und dadurch indirekt immer wieder mit seinem fragilen, zerbrechlichen Selbst beschäftigt
  • daher ist er auch massiv kränkbar, was er hinter einer Maske von überzogenem, übersteigerten Selbstvertrauen zu verbergen sucht

Wenn narzisstisch verwundete Menschen einen Psychotherapeuten aufsuchen, dann nach größeren Misserfolgen wie dem Ende einer Beziehung oder nach einer Kündigung. Meist suchen sie sich jedoch instinktiv Therapeuten aus, die ihnen nicht wirklich helfen können – zu schmerzhaft ist die Beschäftigung mit den eigenen Abgründen.

Wichtig: Nicht jeder, der gelegentlich narzisstische Züge zeigt, sich z.B. situativ in den Vordergrund spielt, gerne viel redet oder über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein verfügt, ist der gleichnamigen Persönlichkeitsstörung zuzuordnen. Generell ist zwischen der Störung und dem umgangssprachlichen Narzissmus zu unterscheiden. Deshalb sollte mit Diagnosen sehr vorsichtig umgegangen werden, auch wenn sich das narzisstische Verhalten für das soziale Umfeld unterm Strich in beiden Fällen gleich anfühlt. So ziemlich alle Menschen zeigen übrigens in bestimmten Situationen ‚narzisstisches‘ Verhalten; es handelt sich hierbei lediglich um Anzeichen eines gesunden Selbstwertgefühls, um das Wissen über die eigenen Fähigkeiten oder um persönliche Präferenzen. Es gibt Menschen, die andere Menschen gut führen können, die gerne mutig Entscheidungen treffen und die ihre Meinung souverän vertreten; andere haben einfach Spaß daran, auf der Bühne zu stehen und zu unterhalten. Und all das ist auch gut und wichtig, ich komme weiter unten noch mal kurz darauf zu sprechen. Und gewinnen nicht die meisten von uns gerne? Na also. Doch es gibt Anzeichen, die bei Häufung und regelmäßigem Auftreten den Verdacht nahelegen, dass es sich um lupenreine Narzissten handelt und nicht nur um einen extrovertierten Persönlichkeitsstil …

2.2. Die positiven Seiten des Narzissmus

Wie so viele Dinge im Leben hat auch der Narzissmus zwei Seiten: Mit Blick auf unsere Urahnen vor 10.000 Jahren war ein narzisstischer Charakter vermutlich ein Vorteil, um sich bei der Verteilung des von der Gruppe erlegten Mammuts das größte Stück zu sichern oder um den Stammesführer abzulösen. So gesehen ist Narzissmus nicht nur als negativ zu bewerten und in der Tat unterscheidet die Literatur zwischen konstruktiven und destruktiven Formen des Narzissmus (6).

Lassen Menschen in hohen Führungspositionen ihr oftmals vorhandenes Charisma spielen, so können sie andere Menschen begeistern, mitreißen, von ihren häufig wirklich innovativen Ideen überzeugen und dafür sorgen, dass sie sich mit der Unternehmung der Führungskraft identifizieren und sich loyal an sie binden. Ohne eine gute Portion dessen, was auf konstruktiver Seite dem Narzissmus zugeordnet wird und was auch psychisch völlig gesunde Menschen ausmacht (siehe oben) – z.B. Selbstvertrauen, Kreativität, Macht als Antriebsmotiv (7) – wäre dies vermutlich gar nicht möglich.

2.3. Der Blick hinter die Fassade eines narzisstisch gestörten Menschen

Im Gegensatz zum sogenannten gesunden Narzissmus spricht man beim entsprechend gestörten Menschen vom reaktiven oder vulnerablen Narzissmus als Folge frühkindlicher Kränkungen und Verletzungen. Unbezwingbar wird dann in späteren Lebensjahren der Versuch, den erlebten Mangel, z.B. an Anerkennung oder Liebe durch brilliante Leistungen zu kompensieren. Wut, Hass, Neid und Rache können diesem gekränkten Selbstbild entspringen. Die häufigen Wutausbrüche eines narzisstisch gestörten Menschen, z.B. durch kritische Äußerungen anderer Leute oder durch Fehlschläge, sind leicht zu erklären. Der Narzisst verteidigt auf diese Weise mit Krallen und Zähnen sein vermeintlich geheimes Wissen, das ihn einholt, wenn er mit sich alleine ist oder eben anderweitig unfreiwillig damit konfrontiert wird: Er ist gar nicht so toll, wie er tut! Hinter allem Getöse steckt das verletzte, traurige Kind, das sich selbst für ungeliebt, defizitär und wertlos hält. Minderwertigkeitsgefühle und Versagensangst müssen unbedingt kaschiert werden, auf keinen Fall darf die Welt erfahren, dass der Narzisst sich in Wahrheit selbst für klein, dumm und unwichtig hält. Aus diesem Grund sind Narzissten im Dauerstress, können sich nur selten entspannen, haben höchste Erwartungen an sich selbst und landen in einem permanenten Performance-Modus – ob am Arbeitsplatz oder privat z.B. im Bett. Verschiedene Untersuchungen legen den Verdacht nahe, „daß narzisstische Persönlichkeiten ein überdurchschnittliches Risiko eingehen, während ihrer midlife crisis an Depressionen zu erkranken. Wahrscheinlich verkraften sie es schlechter als andere Leute, die ehrgeizigen Ziele aus ihrer Jugend nicht erreicht zu haben.“ (8) Dies könnte eine der auslösenden Situationen sein, als ‚Schaltstelle‘ für die Verbindung von Narzissmus und bipolarer Störung.

Ihre Art hindert narzisstische Personen häufig daran, vertrauensvolle und enge Bindungen mit anderen Menschen einzugehen: Zum Beispiel ist es nahezu unmöglich, mit einem Narzissten auf lange Sicht befreundet zu sein. Auch gestandenen Männern und Frauen kann es passieren, dass sie sich über einen gewissen Zeitraum der Illusion hingeben, einem Narzissten in tiefer Freundschaft verbunden zu sein. Dessen enorme seelische Verletzung, die regelmäßig ans Licht kommt, sobald sie durch einen Trigger empfindlich berührt wird, blenden sie aus oder reden sie sich schön, wenn sie den Menschen wirklich gern haben und es nicht wahrhaben wollen. Doch ein narzisstisch gestörter Mensch hat kein Bild von Freundschaft in sich – das kannst du sogar dadurch testen, dass du ihn fragst: es wird auch bei wiederholter Fragestellung keine Antwort darauf geben, was er unter Freundschaft versteht! – und deshalb meist auch keine echten Freunde. Dies kann dem Narzissten sogar bewusst sein. Allein, er weiß nichts daran zu ändern. Weil ihn seine Egozentrik behindert, seine mangelnde Impulskontrolle sein Handeln verzerrt und weil Erwartungen anderer Leute – mögen sie in den Augen gesunder Menschen noch so harmlos sein – für ihn ein Stressfaktor sind. Der treibt ihn wie auf Autopilot in die ‚drei F‘: Fight, Flight, Freeze. Stress ist jedoch ein weiterer Hauptauslöser der bipolaren Störung …

3. Der bipolar gestörte Narzisst

Treffen beide Störungen zusammen, lassen mich meine Beobachtungen Folgendes vermuten, und dies ist auch die Kernthese meines Textes: In der manischen Phase kommen alle destruktiven Elemente des Narzissmus zum Tragen. In der depressiven Phase zeigen sich auch die beschriebenen konstruktiven Seiten. In beiden Phasen gibt es Phänomene, die im Leben eines ‚gesunden‘ Narzissten nicht denkbar wären, wie ich weiter unten bei ‚Ente‘ und ‚Cerberus‘ beschreiben werde.

3.1. Verlust der Selbstführung

Eine Führungsposition oder ein Leben als Unternehmer bzw. Solopreneur ist eigentlich wunderbar dafür geeignet, narzisstische Defizite überzukompensieren. Doch gesellt sich die Bipolare Störung an die Seite des Narzissmus, leidet – in beiden Phasen – die Fähigkeit zur Selbstführung. Anzeichen, dass man die Kontrolle über sein Leben verloren hat, ist nicht etwa nur das Tragen von Jogginghosen, sondern beispielsweise auch:

  • Höchstleistung ohne Pause oder Urlaub vs. nicht aus dem Bett kommen, nichts erledigt kriegen
  • schlechte Ernährung – vs. mangelnde Ernährung
  • Alkohol, Drogenkonsum vs. kann nichts genießen, gönnt sich selbst nichts
  • maßloser Sex vs. kein Sex oder sexuelle Dysfunktion
  • exzessiver Sport vs. kein Sport
  • Fremdausbeutung vs. Selbstausbeutung

Kleinunternehmer kann der Verlust der Selbstführung regelmäßig in heikle finanzielle Lagen bringen, Angestellte verlieren ihre Jobs, Unternehmer fahren ihre Firma gegen die Wand. Generell fördert das geschilderte Verhalten verschiedene weitere Krankheiten oder Körperverletzungen.

Ich möchte nun zwei Bilder vorstellen, die hoffentlich deutlicher illustrieren, welche Gesichter Narzissmus in beiden Phasen haben kann. Meine Beschreibung wird stellenweise über das hinausgehen oder nicht zu hundert Prozent berücksichtigen, was man dem echten Tier bzw. dem griechischen Fabelwesen zuschreiben kann. Nehmt die Ente und den Cerberus deshalb bitte einfach als Metaphern.

3.2. Die Ente

Als Bild der Depression – und als Bild des verletzten und sensiblen Ichs, zu dem der Narzisst in der Depression ausgewählten Personen gegenüber durchaus stehen kann (!) – fällt mir die leise schnatternde Ente auf dem Dorfteich ein: Sie präsentiert sich oft hilflos, hat Angst vor den allermeisten Dingen und sucht die Schuld für alles Leid bei sich. Zur Erinnerung: Angst, Fehler und Hilflosigkeit gehören zu den „schwachen“ Eigenschaften, die ein reiner Narzisst ohne Bipolare Störung niemals zugeben würde! Als eine unter vielen, die auf den ersten Blick unscheinbar und völlig gleich aussehen, sieht die Ente ihren Wert nicht, ernährt sich von hingeworfenen Brosamen und paddelt verzweifelt nach Erfolg und Anerkennung. Nach einem Sonnenfleck auf ihrem ewigen Teich der Trübsal, der jedoch per Enten-Definition eh nicht eintreffen wird. Denn das Glück, das haben schon andere Wesen für sich gepachtet. Self-fulfilling-prophecy, die depressiven Gedanken werden zu depressiven Gefühlen und zu sich selbst bestätigendem Handeln.

Hat die Ente einmal Vertrauen zu dir gefasst, überrascht sie dich gelegentlich durch Proaktivität, ausgesprochene Kreativität und gute Ideen. Hier kommen die förderlichen Anteile narzisstischer Eigenschaften zum Tragen, ja, die problematischen Seiten werden vorübergehend nahezu ausgeschaltet: Der bipolar-depressive Narzisst kann auf einmal zuhören und ist zu Wertschätzung und Fürsorge innerhalb eines gewissen Rahmens fähig. Er zeigt eine verblüffende Klarsicht seiner Lage und lässt zu, dass man ihm sowohl sein depressives als auch sein destruktives Verhalten früherer manischer Phasen spiegelt.

Möglicherweise handelt es sich auch um Anzeichen einer oben beschriebene Mischphase depressiver und manischer Symptome. Wechselt die depressive Phase ins Manische, wird das Schnattern langsam lauter und durch heftiges Flügelschlagen begleitet, gelegentlich wird mit dem Schnabel gehackt und die Transformation beginnt …

3.3. Der Cerberus

Das Bild der Manie – aber auch das Bild des Narzissten in Hochform – entspricht dem des knurrenden, um sich schnappenden Cerberus: dem dreiköpfigen Höllenhund, den wir erneut der griechischen Mythologie zu verdanken haben. Er stellt das Fell, dem in den Bildenden Künsten oft Schlangen entwachsen. Er hält sich für den König und beißt alles weg, was aus der Unterwelt emporkommen könnte. Sprich, was ihn in seinem Welt- und Selbstbild bedrohen oder was ihn dazu nötigen könnte, sich mit der eigenen vermeintlichen Herrlichkeit auseinanderzusetzen: sei es eine andere Meinung, ein artikuliertes fremdes Bedürfnis oder eine Erwartung anderer Leute.

Hier zeigt sich das narzisstisch-destruktive Aggressionspotenzial, das es auf Fremdausbeutung bis hin zur Zerstörung des Gegenübers abgesehen hat, nach dem Motto „Entweder du bist so, wie ich dich haben will, oder du hörst auf zu existieren.“ (8) Ein Phänomen bei Menschen mit narzisstischer Selbstwertstörung ist deshalb auch, dass sie Kontakte zu gescheiterten Beziehungspartnern, sei es privater oder beruflicher Natur, tunlichst vermeiden. Dies kann soweit gehen, dass sie Orte des gemeinsamen Erlebens über Jahrzehnte – wenn nicht lebenslang – meiden, eine Art Feldzug aus sicherer Distanz gegen das Feindbild starten, sich einfach nicht mehr melden respektive verschwinden (auch als Ghosting bekannt) oder es plötzlich nicht mehr schaffen, den Namen des „Bösen“ zu nennen. So wird möglicherweise innerhalb von zwei Wochen aus dem „besten Freund“ eine „Persona non grata“: Es ist tatsächlich zu beobachten, dass der Narzisst in der manischen Phase, sollte er mit der betroffenen „gegnerischen“ Person notgedrungen kommunizieren müssen, weder ihren Namen nennen noch sie in der zweiten Person Singular anreden kann. In Wahrheit ist seine Angst einfach viel zu groß, im direkten Kontakt mit seinen Verletzungen und seinem daraus resultierenden eigenen Verhalten konfrontiert zu werden. Ein Perspektivwechsel ist ihm nicht möglich, und wer ihm den Spiegel hinhält, wird lautstark verbellt.

3.4. Weitere Beispiele für die Unterschiede zwischen den Phasen

Der bipolar-depressive Narzisst (also die ‚Ente‘, um im Bild zu bleiben) stellt Menschen, die ihm gegenüber wohlgesonnen sind und es auch trotz früherer schlechter Behandlung dauerhaft bleiben, gerne auf ein Podest: Da bist du dann schon mal der Retter, der einzige Freund, gar der Soulmate, einer der wichtigsten Menschen. Im Unterschied zum reinen Narzissten, der dies auch tut, jedoch um sein manipulatives Spiel zu spielen, meint die ‚Ente‘ das allerdings ernst und glaubt daran.

Was den bipolar erkrankten Narzissten jedoch nicht davon abhält, dir gegenüber in der manischen Phase den ‚Cerberus‘ raushängen zu lassen und dich aufs Übelste anzugreifen, dir das Wort im Mund rumzudrehen, dir in den Rücken zu fallen oder dich gar der Lüge zu bezichtigen. Der narzisstische Anteil hat in der manischen Phase auch kein Problem damit, einen Freund, Lover oder Businesspartner fallen zu lassen wie eine heiße Kartoffel, sollte sich ein besseres Objekt der Verehrung, das ihm zweckdienlicher ist, blicken und fassen lassen. Selbst wenn er kurz zuvor noch – in der depressiven Phase oder in der Ruhephase – beteuert hat, dies würde er niemals tun! Narzissten können, wie bereits erwähnt, überaus charismatisch sein und auf beeindruckende Art und Weise Empathie – derer sie sich rühmen mögen, die ihnen jedoch in Wahrheit völlig abgeht – simulieren, wenn sie einen Menschen für sich einnehmen wollen. Nach einer Weile muss auch der neue Partner oder Freund wieder ausgetauscht werden; der Narzisst braucht ein frisches Drama, in dem er die Hauptrolle spielen kann.

Wechselt die Phase wieder ins Depressive, wird beschämt der Kopf unter dem Flügel versteckt und verlegen geschnattert – im echten Leben kann sich das durch Flucht in Form von monate- bis jahrelangem Schweigen aber auch durch tränenreiche Entschuldigungen und versuchte Wiedergutmachungen äußern. Scham, Schuld und Reue sind Begriffe, die dem normalen Narzissten in seiner Hinwendung nach außen völlig abgehen würden.

„Von Dr. Jekyll wird er zu Mr. Hyde, er kann nichts dagegen tun, plötzlich ist es soweit …“

– in Anlehnung an Alles aus Liebe von den Toten Hosen

Die Ruhezeiten zwischen den Phasen können durch echt gute Tage oder Zeiten gekennzeichnet sein, in denen man mit dem bipolar gestörten Narzissten viel Spaß haben oder geschäftlich viel erreichen kann.
Kündigt sich ein neuer Phasenwechsel an, ist dies für das geübte Auge – für Personen, die es über mehrere Jahre in engerem Kontakt mit dem Erkrankten ausgehalten haben – meist leicht zu erkennen. Eine Ausnahme bilden abrupte Wechsel, meiner Vermutung nach ausgelöst durch außerordentlichen Stress und Druck: wenn du das miterlebst, dann denkst du als Angehöriger wirklich, hier hat gerade jemand den Schalter umgelegt, von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde

4. Die Gefahr für Helfer und besonders empathische Menschen

So wie jede Führungskraft jemanden braucht, der sich führen und anleiten lässt und ihr dadurch überhaupt erst Führung ermöglicht, so braucht der Narzisst einen Gegenpart, den er ausstechen kann oder der ihn bewundert, um sich in seiner ersehnten Großartigkeit bestätigt zu sehen. Er ist mithilfe seiner Größenphantasie zum Star geworden und braucht daher einen Fan.

Manchmal kommst du nicht umhin, dich mit einem Narzissten umgeben zu müssen – wenn es zum Beispiel der eigene Vorgesetzte ist. Wobei du natürlich frei bleibst, dir eine andere Stelle zu suchen, aber mir ist klar, dass das leichter geschrieben als getan ist. In anderen Fällen kannst du einfach auf den Erstkontakt keinen zweiten folgen lassen oder dich den entsprechenden toxischen Situationen bzw. Menschen entziehen. Es gibt jedoch Menschen, die ganz besonders gefährdet sind, sich einem bipolar gestörten Narzissten dauerhaft willentlich auszusetzen. Und darüber hinaus gibt es Angehörige, die nicht einfach so gehen können oder wollen.

Sowohl die Bipolare Störung als auch die narzisstische Selbstwertstörung beeinträchtigen die Lebensqualität dessen, der diese Last zu tragen hat, enorm. Auch wenn ich bis hier viele deutliche Worte und drastische Beispiele gefunden habe, so möchte ich klarstellen, dass

a) ich volles Mitgefühl mit den erkrankten bzw. betroffenen Menschen habe und sie nicht für schlecht, falsch oder bösartig halte – sondern einfach nur für das, was sie sind: Menschen, deren normale Stress- und Schutzreaktionen samt der Fähigkeit zur Selbstregulation durch den Doppelpack zweier Störungen aus dem Ruder gelaufen und beschädigt worden sind. Und die professioneller psychiatrischer Hilfe bedürfen.

b) ich das mit-leidende soziale Umfeld nicht ausschließlich und vollumfänglich als arme Opfer sehe, sondern einen Eigenanteil beobachte. Zu vielen der geschilderten Phänomene gehören zwei Seiten: eine, die es macht, und eine, die es mit sich machen lässt. Ich halte es da mit einer Zeile aus einem Song von Waves: „Fool me once, shame on you; Fool me twice, shame on me too …“ Bevor du empört aufschreist und aufhörst zu lesen: Ich gehe nach zwei weiteren Absätzen genauer darauf ein, wie ich es meine …

Beim Lesen meines Textes hast du möglicherweise mehrfach „Das kenne ich!“ gedacht und dich an Leute aus deinem eigenen Bekanntenkreis erinnert, die meiner Beschreibung entsprechen. Vielleicht ist es dir schon ähnlich ergangen wie in meinen Beispielen, die, wenn auch anonymisiert oder verallgemeinert, allesamt Berichten und Beobachtungen realer Szenarien entstammen.

4.1. Entlastung und Eigenverantwortung

Eventuell ist dir sogar klar geworden, weshalb du Zeitgenossen kennst, deren Verhalten mal sympathisch, super nett und vielleicht sogar ein bisschen bemitleidenswert erscheint (die ‚Ente‘ in Bestform), an einem anderen Tag jedoch in einem für dich irritierenden, erschreckenden und schmerzhaften Gegensatz dazu steht, wie er krasser nicht sein könnte (der ‚Cerberus‘ in Hochform). Wenn du dies erkannt hast – und dass es nichts mit dir zu tun hat, weshalb der bipolar gestörte Narzisst ist, wie er ist und weshalb er macht, was er macht! – dann hat mein Beitrag bereits seinen Sinn erfüllt.

  • Das Verhalten des bipolar gestörten Narzissten entspringt seiner psychischen Disposition. Es hat – dies kann nicht oft genug betont werden! – nichts mit dir zu tun, du bist allenfalls ein Trigger, ein Auslöser für eine Verhaltensform oder einen Phasenwechsel. Hierfür musst du keine Verantwortung übernehmen.
  • Wie du dich dem bipolar gestörten Narzissten gegenüber positionierst, wie du mit dem, was du möglicherweise mit ihm erlebt hast umgehst und ob du immer wieder mehr vom Gleichen erlebst: das hat etwas mit dir zu tun. Hier liegt in meinen Augen deine Verantwortung. Es ist die Verantwortung eines jeden erwachsenen Menschen für sich selbst. Von der Kultivierung der Selbstdarstellung als Opfer halte ich persönlich nichts. Die Opferrolle treibt dich in die Ohnmacht und verringert deine Selbstwirksamkeit.

4.2. Empathie und Verständnis als Falle

Menschen in sozialen Berufen sowie besonders empathische Menschen gleich welchen Metiers sind meiner Meinung nach ganz besonders gefährdet, bei bipolar gestörten Narzissten zu landen – und sich von ihnen dauerhaft über Gebühr strapazieren zu lassen. Der gestörte Mensch dreht sich nur um sich selbst – und wohlgesonnene empathische Menschen drehen sich irgendwann mit. Häufig ohne es zu merken. Warum? Weil sie denken, sie könnten etwas bewirken. Und weil die Beziehung (gleich welcher Art) zum Betroffenen ja auch ihre guten Seiten hat. Aufgeben, weggehen? Das wäre in ihren Augen viel zu früh und viel zu übertrieben! „Mir passiert schon nichts und ich lasse einen Menschen der mir wichtig ist nicht fallen, nur weil es ihm schlecht geht!“, denken sie zum Beispiel, da sie auch die narzisstischen Verhaltensweisen als Ausdruck großen seelischen Schmerzes erkannt und entsprechend eingeordnet haben.

Ein weiterer Grund ist eine Wahrheit, die nicht gern gehört wird, die ich aber nicht verschweigen kann: Jeder Mensch, der etwas für einen anderen tut, tut damit gleichzeitig auch immer etwas für sich selbst. Was völlig in Ordnung ist, solange es im Normbereich bleibt. Soll heißen: wer z.B. sein Gegenüber permanent und ohne Anlass mit Geschenken überhäuft, um sich selbst als großzügig und nett zu erleben, hat das gesunde Maß des Herzensbedürfnisses, zu geben, vermutlich überschritten. Wer gerne gebraucht werden möchte und deshalb alle gestörten Verhaltensweisen des Betroffenen mit dessen frühkindlichen traumatischen Erfahrungen oder mit seiner bipolaren Krankheit entschuldigt, läuft in Gefahr, in die sogenannte Co-Abhängigkeit zu geraten. Vor allem, weil „der objektive, selbstlose, empathische Mensch und die Projektion eines starken Ich“ (9) einander bedingen – und der Narzissmus ist eine einzige Projektion eines subjektiven Idealzustands auf sich selbst. Wird die Vorstellung des eigenen Ideals noch dazu einer Idee aus der letzten manischen Phase entliehen, trägt dies laut Illy nicht gerade dazu bei, als Erkrankter gesund auf dem Boden einer Normalität anzukommen. Dieser Boden ist meistens nicht schwarz oder weiß, sondern grau schattiert.

Aus diesen Gründen ist der enge Kontakt zu gleichzeitig bipolar Erkrankten für einige Leute noch viel herausfordernder als der zu einem rein narzisstisch gestörten Menschen. Narzissmus öffnet hilfsbereiten und mitfühlenden Menschen schon im Alleingang Tür und Tor für eine Co-Abhängigkeit, die Phantasie, ihn retten zu können oder zumindest für eine starke Asymmetrie jedweder zwischenmenschlichen Beziehung, zum Beispiel im Sinne von Star und Fan.

4.3.   12 Fragen für Menschen im Umgang mit bipolar gestörten Narzissten

Ich weiß nicht, wer du bist und was du machst, liebe Leserin, lieber Leser. Doch meine folgenden Fragen können dich dabei unterstützen, herauszufinden, ob du von deiner Geisteshaltung und deinen Werten her gefährdet bist, dich in der Beziehung mit toxischen Menschen völlig zu verausgaben und selber seelisch krank zu werden. Denn dies ist für psychisch Gesunde die wirkliche Gefahr beim langfristigen Umgang mit bipolar gestörten Narzissten. Daniel Illy macht in seinem bereits erwähnten Buch deutlich, dass Angehöriger eines bipolar Erkrankten zu sein einem Fulltime-Job gleichkommt (S. 147). Zu Angehörigen zählt er auch Freunde. „Häufig ist diese Belastung im ersten Moment gar nicht so deutlich zu erkennen [… ]. Angehörige überfordern sich […] daher oftmals und werden selbst krank. Es droht eine Depression.“ (Ebd.) Und in Illys Buch ist der Fall einer gleichzeitig zur manisch-depressiven Erkrankung auftretenden narzisstischen Persönlichkeitsstörung noch nicht mal inkludiert.

Je mehr Fragen du für dich mit ja beantwortest, desto gefährdeter bist du meiner Ansicht nach in engerer Verbindung zu einem bipolar gestörten Narzissten (Therapeuten oder Psychiater, die in einer professionell-behandelnden Beziehung mit dem Betroffenen stehen, sind natürlich von der kompletten Fragestellung ausgeschlossen):

  1. Denkst du, dass du ihm oder ihr helfen kannst, wenn du nur verständnisvoll, geduldig und unterstützend bleibst?
  2. Denkst du, dass du über genug Kraft, Zuneigung, inneren Frieden, Resilienz etc. verfügst, um den beiden Störungen und ihren Auswirkungen auch langfristig gewachsen zu sein?
  3. Empfindest du Freude, Glück oder Zufriedenheit, wenn du etwas für den gestörten Menschen tun kannst?
  4. Beschäftigten dich seine Probleme, Ängste und Sorgen, aber auch seine guten Ideen und Einfälle fast genauso sehr wie ihn?
  5. Suchst du die Schuld für im Miteinander entstehende Probleme häufig bei dir?
  6. Bist du überproportional häufig die- oder derjenige, der in einem Konflikt einknickt oder nach einem Streit den ersten Schritt macht – der Klügere gibt halt nach?
  7. Akzeptierst du normalerweise die Wünsche des gestörten Menschen zu Ungunsten deiner eigenen Bedürfnisse?
  8. Hast du Sorge, den Kontakt zum Erkrankten zu verlieren, wenn du für dich selbst einstehst und z.B. versuchst, dich bei einer zu diskutierenden Entscheidung durchzusetzen?
  9. Hast du manchmal ein schlechtes Gewissen, wenn du dich um dich selbst kümmerst statt um den Erkrankten?
  10. Die Worte eines Narzissten bzw. des ‚Cerberus‘ sind wie Waffen: Schenkst du ihm Glauben, wenn er dich verbal angreift?
  11. Versuchst du, seinen subjektiven wie objektiven Mangel durch besonderen Einsatz (Arbeitskraft, Aufmerksamkeit, Geschenke etc.) deinerseits zu kompensieren?
  12. Merkst du, wie du im Laufe der Zeit – ich spreche von einer Zeitspanne von mind. einem Jahr des intensiven Kontakts – zunehmend an dir selbst zweifelst, wie du selbst depressive Gedanken entwickelst, wie du dich für immer wertloser hältst und dir Lebensfreude verloren geht?

Dies war kein Psychotest, es waren lediglich Fragen aus dem Fundus meiner Berufs- und Lebenspraxis. Du wirst jetzt keine Auflösung finden á la „bei mehr als 5x ja ist es so und so …“. Ich kann mir aber vorstellen, dass du spätestens jetzt ein gutes Gespür dafür hast, wie es in dir aussieht und wie es sich bei dir verhält. Du brauchst deine innere Stimme um zu spüren, ob du noch auf einem für dich gesunden Weg bist, keine Anleitung eines Dritten. Die innere Stimme kann jedoch durch äußere Impulse sensibilisiert werden, sollte dir der Kontakt zu dir selbst ein Stück weit verloren gegangen sein.

Mein Appell an dich ist deshalb: Sei ehrlich zu dir selbst und bring dich rechtzeitig in Sicherheit – vielleicht schon, bevor du bei Punkt 12 mit dem Kopf nickst … Kannst und willst du diesen Job wirklich machen? Oder bist du bereits am Ende deiner Kräfte? 

5. Hilfe für betroffene Angehörige

Wenn ich an Sicherheit für in Mitleidenschaft Gezogene denke, geht es mir nicht um Tipps zum Umgang mit gewöhnlichen Narzissten, die man auf zahlreichen Websites und in vielen Büchern nachlesen kann. Deshalb gibt es hier auch keine „7 Schritte, was du jetzt tun kannst …“ oder so. Was Sicherheit individuell für dich bedeutet, können wir in einem Coaching gemeinsam erarbeiten.

Vor allem gilt: Ärgere dich nicht über dich selbst! Eine Kollegin von mir sagte mal tröstend zu einer Freundin, die vom Gift eines bipolar gestörten Narzissten arg berührt worden war: „Es passiert nur den Besten!“ Und nein, dieser Ausspruch sollte nicht einem weiteren Narzissten den Bauch pinseln, sondern illustrieren, dass empathische Menschen meist über starke Charaktereigenschaften wie Einfühlungsvermögen, Loyalität, Hilfsbereitschaft und Belastbarkeit verfügen.

6. Fazit

Es ist egal, wie sehr du den Erkrankten magst, dem du freundschaftlich, familiär oder kollegial verbunden bist, wie gut du es meinst oder wie gut du ggf. als Sozialpädagoge, Berater oder Coach ausgebildet bist: dauerhaft bewirken im Sinne einer Heilung kannst du nichts! Das Thema mit seinen bekannten Problematiken wird dir alle paar Monate wieder auf die Füße fallen, wenn du dich nicht entsprechend abgrenzt und schützt. Wenn du versuchst, dem Betroffenen zu helfen und den Eindruck hast, dass deine Versuche auf fruchtbaren Boden fallen weil sich sein Verhalten etwas sozialverträglicher gestaltet, lernst du bald noch eine andere Figur der griechischen Mythologie kennen: Sisyphos! Du arbeitest dich an etwas ab, was dir in dem Moment wieder entgegenrollt (und dich dabei möglicherweise platt macht), in dem du meinst, für deinen Angehörigen einen Erfolg erkennen zu können. Zu helfen ist in diesem Fall nicht nur nicht dein Job, der Versuch bringt dich auch noch in Gefahr. Denn Empathie kann auch verausgaben – bis hin zum „Selbstverlust des empathischen Menschen“ (10). Du kannst noch so viel Gutes in den bipolar gestörten Narzissten reinkippen – es wird in ihm verschwinden wie Masse in einem Schwarzen Loch: schluckt er dein Licht, bleibt es möglicherweise in ihm gefangen.

Dem doppelt Gestörten kann nur ein guter Psychiater helfen – solltest du einer sein, hast du dich vermutlich früh distanziert und/oder deinen Freund, Lebensgefährten oder Verwandten an einen Kollegen verwiesen. Die bipolare Erkrankung gehört neben einer (u.a.) Verhaltenstherapie in den meisten Fällen medikamentös eingestellt. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung kann (u.a.) tiefenpsychologisch behandelt werden. Ein klinischer Aufenthalt kann in beiden Fällen bzw. in der Kombination der Störungen notwendig sein, speziell bei Suizidgefahr. Das unter Fußnote 4 aufgeführte Buch von Daniel Illy kann ich empfehlen, wenn du dich über weitere Details zur Bipolaren Störung, der passenden Medikation und geeigneten Therapieformen informieren willst. Es bietet durch Tipps, Fragen und Übungen auch Hilfe zur Selbsthilfe für Erkrankte.

Du selbst kannst dich nur gut um dich kümmern: pass auf dich auf!

Wenn du dir auf deinem Weg, den manipulativen Machtspielen eines bipolar gestörten Narzissten zu entkommen, Unterstützung und Begleitung wünschst: Sprich mich gerne an! Dieser Blogpost rankt zu den passenden Keywords seit dem Jahr 2020 auf Rang 1 bei Google. In dieser Zeit sind viele Menschen auf mich zugekommen, von denen ich mit etlichen zusammenarbeiten durfte. Sie haben bei mir gelernt, im Umgang mit den Erkrankten selbst gesund zu bleiben oder aus dem Drama auszusteigen, sich abzugrenzen, sich zu schützen, ihr Leben positiv und proaktiv neu zu gestalten und die Zügel wieder in die Hand zu nehmen. Es heißt Leben, nicht überleben …

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Post Scriptum

Ich bedanke mich bei meinem Trigon-Supervisor Georg Engelbertz für unterstützende Lektüre sowie für die kritische Betrachtung dieses Textes vor der Veröffentlichung. Ich weise darauf hin, dass ich meinen Beitrag als Essay sehe, keinesfalls als wissenschaftliche Veröffentlichung oder als Forschungsergebnis.

Mein Dank gilt außerdem: Dipl.-Psych. Christina Kölpin, meinen Kolleginnen und Kollegen Ingeborg Scheer, Nina Fischer, Nicole Flagmeyer und Thomas Döring. Ohne euch hätte es diesen Text nicht gegeben.

Quellenangaben und Fußnoten:

(1) Die Karrierebibel beschreibt einige der von mir aufgeführten Punkte und schafft es dabei sehr elegant, den Begriff Narzissmus zu vermeiden. Dennoch dürfte klar sein, welcher Typ Mensch gemeint ist. Ein sehr lesenswerter Artikel!

(2) Zumindest habe ich in der mir verfügbaren klinischen Literatur bislang nichts dazu gefunden. Sollte sich das ändern, werde ich meinen Beitrag selbstverständlich korrigieren.

(3) Die Inspiration zu den Metaphern Cerberus und Ente für die genannten Phänomene habe ich einem Menschen zu verdanken, dessen Namen ich aus Diskretionsgründen nicht nennen möchte, dem ich aber an dieser Stelle Dank sagen und alles Gute für sein weiteres Leben wünschen will.

(4) Mein Abschnitt über Bipolare Störungen ist u.a. eine Zusammenfassung von: Illy, Daniel: Ratgeber Bipolare Störungen. Hilfe für den Alltag; Urban & Fischer in Elsevier, 2017

(5) Wery von Limont, Sabine: Das geheime Leben der Seele. Alles über unser unsichtbares Organ; Mosaik, 2018, S. 122

(6): Schmidt-Lellek, Christoph J.: Charisma, Macht und Narzissmus. Zur Diagnostik einer ambivalenten Führungseigenschaft; Erschienen in: OSC 11 (1), 2004, S. 27-40

(7): Vgl. Steven Reiss

(8): Lelord, F; André, C.: Der ganz normale Wahnsinn; Aufbau Verlag Taschenbuch; S. 135

(9): Breithaupt, Fritz: Die dunklen Seiten der Empathie; suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 4. Auflage 2019, S. 40

(10): Breithaupt, S. 54

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