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Bild Wolf The One You Feed Sylvia Pietzko


Im Februar habe ich mir ein neues Logo gegönnt. Aus gegebenem Anlass: Ab Mitte Januar brach für mich unerwartet eines meiner bisherigen Geschäftsfelder – und damit eine ganze kleine Welt für sich – nahezu vollständig in sich zusammen. Ich war zu diesem Zeitpunkt in Urlaub und konnte nichts gegen die Entscheidung ausrichten, die andere Leute entgegen ursprünglicher Absprache mit mir getroffen hatten. Nach meiner Rückkehr fand ich die Trümmer vor.
Vor allem in menschlicher Hinsicht – the business of business isn’t numbers! – waren dieser Zusammenbruch und seine noch monatelang nachfolgenden Auswirkungen ein Schock. Nach dem Schock kam die Wut. Wie damit umgehen, Frau Coach?

Geschrieben für: Alle, die mehr über mich als Mensch erfahren wollen. Leute, die sich für das Gefühl der Wut interessieren und mehr wissen wollen. Alle, die die Geschichte der zwei Wölfe kennen und lieben …

Sylvia Pietzko LogoIn mir entstand mit diesem ungewollten, plötzlichen Einschnitt in mein Leben recht bald der Wunsch, mein 2010 als PR-Beraterin entwickeltes und seitdem sukzessive an meine neuen Tätigkeiten angepasstes Logo mit der Sprechblase deutlich zu verändern. Und dennoch der Marke Sylvia Pietzko treu zu bleiben. Deshalb durften der Font und die Farbgebung bleiben.

Sylvia mit Alaskan Malamute Annooky 1988

Sylvia mit Alaskan Malamute Annooky, ca. 1988

Die Geschichte dieses Logos hat natürlich nicht nur etwas mit meiner persönlichen Liebe zu Wölfen und dem Wolf nahestehenden Hunderassen wie dem Alaskan Malamute oder dem Husky zu tun – in der Tat begleitet mich der Wolf schon fast mein ganzes Leben lang, wahrscheinlich, seitdem ich im zarten Alter von sieben Jahren Jack Londons Wolfsblut in der Bibliothek fand und verschlang, um mir danach mit Annooky einen entsprechenden Pflegehund im Dorf zu angeln. Die Geschichte meines neuen Logos hat vor allem etwas mit einer ganz anderen Story zu tun. Und mit einer Wahl, die ich, die du, die jeder von uns ständig zu treffen hat. Doch zunächst die Geschichte.

 

The One you feed – Der, den du fütterst …

Sie ist nicht von mir, man kann sie in verschiedenen Varianten im Internet finden, sie ist meist mit einem schwarzen und einem weißen Wolf illustriert und der Urheber ist mir unbekannt. Bitteschön:

Ein alter Mann sitzt mit seiner Enkelin am Lagerfeuer.
Sie reden über das Leben und seine Herausforderungen.
Er sagt zu ihr: „In jedem von uns tobt ein Kampf zwischen
zwei Wölfen.

Der eine Wolf ist böse:
Er ist der Hass, der Zorn, der Neid, die Eifersucht,
die Gier, die Arroganz, das Selbstmitleid, die Vorurteile,
die Minderwertigkeitsgefühle, die Lügen und
der falsche Stolz.

Der andere Wolf ist gut:
Er ist die Liebe, die Freude, der Friede, die Hoffnung,
die Gelassenheit, die Güte, die Großzügigkeit,
die Dankbarkeit, das Mitgefühl, das Vertrauen
und die Wahrheit.“

Das Mädchen denkt eine Weile über die Worte
des Großvaters nach.

Dann fragt sie: „Und welcher der beiden Wölfe gewinnt?“

Der alte Mann antwortet ihr: „Der, den du fütterst!“

Es war nicht so, dass ich diese kleine Geschichte nicht schon gekannt hätte. Irgendwann mal gelesen und für gut befunden. Dann wieder vergessen. Doch sie hat mich erneut gefunden, bereits ein paar Tage vor meinem Urlaub schlich sie als Inspiration um mich herum, als hätte sie gewusst, was noch kommt. Ich hatte den großen Schock, der mich nach meinem Urlaub ereilte, vermutlich bereits nahen gespürt. Denn schon zum Jahresbeginn zierte ein Icon der beiden Wölfe mein WhatsApp-Profilbild – siehe Grafik rechts – und ich entschied mich schon vor dem Tag X für den weißen Wolf.

Wölfe - The One You FeedDie Geschichte war mir dann ein Licht in vielen dunklen Stunden. In Stunden, in denen ich beinahe doch meinen schwarzen Wolf gefüttert hätte. Denn ich fand mich nach dem Urlaub in einer – wie sich später herausstellen sollte, monatelang andauernden – schmerzhaften Situation wieder, in der mein Bedürfnis nach Fairness, Loyalität, Empathie und Kommunikation massiv zu kurz gekommen war und meine Werte missachtet wurden. Reaktiver Zorn, der Wunsch nach Vergeltung aber auch Selbstmitleid und Minderwertigkeitsgefühle waren meine emotionale Antwort nach dem ersten Schock. Ich habe sie, unter anderem dank der Geschichte, bewusst damals nicht an den Auslöser adressiert und auch nicht zugelassen, dass mich meine Gefühle der Wut und des Schmerzes davontrugen. Zu sehen und zu hören, was vor sich geht und sich dennoch rauszuhalten, weil ich spürte, das Raushalten, still bleiben und nichts machen gerade richtig ist, war nicht immer leicht. Es war ein Geschenk, an mich selbst und an den anderen Menschen gleichermaßen, damit wir alle Raum für unsere Erfahrungen erhalten. Ich folgte der Wahrheit meines Herzens, auch wenn mein Kopf gerne etwas wesentlich unempathischeres getan hätte als zu schweigen. Der Kopf wollte brüllen und gegen das Unrecht vorgehen, das ich erlebt hatte!

 

Auch Coaches sind Menschen

Es wäre schlimm, wenn das anders wäre mit dem „menscheln“ – ich könnte meine Arbeit als Coach, Mediatorin oder Trainerin ja gar nicht machen, wenn ich mich nicht in das einfühlen könnte, was in anderen Menschen abgeht und wenn ich nicht über entsprechende eigene Lebenserfahrungen verfügen würde. Ich kann bzw. ich will nicht anders, als mich bei Störgefühlen, Krisen und Unklarheiten intensiv mit mir selbst auseinanderzusetzen und ganz genau hinzuschauen. Berufskrankheit? Ich sehe permanent arbeitsbereit in eigener Sache zu sein eher als eine weitere Grundvoraussetzung meiner Berufung. Den Mut, offen über Persönliches zu schreiben und nicht nur neutral über Fachliches, den Mut, mich als Mensch zu zeigen und nicht nur „in meiner Rolle zu glänzen“, der ist jedoch neu und den habe ich möglicherweise dem Erlebten zu verdanken … Mal sehen, wo er mich hinführt.

Mein Stress war damals jedenfalls so groß, dass ich beinahe meinerseits all meine Werte verraten und „zugebissen“ hätte. Es gab Stunden, in denen war ich so unglaublich wütend über das, was in meiner Abwesenheit geschehen war und was sich im Anschluss wie ein roter Faden weiterzog! Ich will nicht wissen, was ich getan hätte, hätte ich nicht nahezu stündlich auf die Geschichte geblickt und wieder und wieder entschieden, dass es der weiße Wolf sein sollte, der den Kampf in mir gewinnt. Ich wollte dem während meines Urlaubs losgebrochenen ‚Feldzug‘ nicht begegnen, ich wollte keinen Krieg, ich wollte noch nicht mal auf meinem Recht bestehen, ich wollte im Mitgefühl bleiben, meiner Wahrheit verbunden, großzügig etwas ziehen lassen was offensichtlich nicht bleiben will, und mich in Gelassenheit üben. Im Vertrauen, dass der – in meinen Augen – methodische Irrsinn, der sich vor mir sukzessive entfaltete, schon irgendwie einen Zweck haben wird, auch wenn er sich mir noch nicht erschließt.

Bild-Entstehung

Work in progress …

Und ja, du kannst dich tatsächlich dafür entscheiden, Herrin oder Herr des Wolfsrudels in dir zu sein! Was du dafür brauchst (außer einer guten Story), dem widme ich demnächst einen weiteren Blogpost. Für heute soll es um die beiden Wölfe gehen, denn ganz so simpel – weißer Wolf = gut, schwarzer Wolf = böse – ist es dann wiederum auch nicht …

In dieser Zeit entstand nicht nur das Logo, sondern etwas später auch das im Titelbild gezeigte Diptychon zu der kleinen Geschichte, das ich erst in den letzten Tagen fertigstellen konnte. Ein bisschen Kitsch darf sein. Es ziert nun eine Wand in meinem Coaching-Loft Rhein-Main. Ein anderes Kunstwerk aus schwarz lackiertem Holz musste dafür weichen.

 

Das Gefühl der Wut auf dem Prüfstand

Ja, ich war wütend. In meinen Kommunikationseminaren mache ich stets deutlich, dass sich hinter der Wut normalerweise die Angst und die Traurigkeit verstecken, und genau so war es natürlich auch bei mir. Dennoch: das Gefühl des Zorns ist ganz real in einem Menschen vorhanden, das lässt sich ja nicht wegdiskutieren – vielleicht schafft der Eintritt in ein buddhistisches Kloster Abhilfe, aber wer tut das schon. Zu sagen „Sieh zu, wie du von der Wut wieder wegkommst, der schwarze Wolf ist doch der Böse, schau mal besser auf das, was dahinterliegt, schau auf das, was du sein und leben willst, schau auf deine Werte!“ hat zwar in meinem persönlichen Fall funktioniert, greift aber viel zu kurz bzw. passt nicht für jeden Menschen oder wäre schlicht übergriffig: das Gefühl zu ignorieren, die Wut als schlecht zu verdammen und nicht zuzulassen, kann diese auch durchaus anfachen. Schauen wir uns den Zorn deshalb doch mal genauer an.

Wie Wut im Gehirn entsteht

Emotionen entstehen im limbischen System, einem evolutionstechnisch sehr alten Teil unseres Gehirns. Besonders die Amygdala, die „Mandelkerne“ der beiden Hirnhälften, sind dafür zuständig, Alarm zu schlagen! Normalerweise werden diese kleinen „Krawallschachteln“ von unserem Verstand – speziell von der Großhirnrinde im Stirnbereich – unter Kontrolle gehalten. Biologisch natürlich sinnvoll gelöst, dennoch im Alltag häufig problematisch: Der Thalamus, das Tor zum Hirn, schickt Informationen gleichzeitig ins limbische System wie auch zur Großhirnrinde. Der Weg zum limbischen System ist jedoch einen Sekundenbruchteil kürzer! Bis die Information rational verarbeitet werden kann, hat die Amygdala längst entschieden, ob wir Angst oder Wut bekommen – ob wir flüchten oder angreifen.

Nicht nur das, sie hat auch den Emotionen regulierenden Stirnbereich vorübergehend ausgeschaltet (kennst du das, wenn du auf einmal vor lauter Angst oder Wut einfachste Dinge nicht mehr weißt oder kannst?) und über den Hypothalamus sowie das Sympathikus-System alle Kräfte des Körpers mobilisiert. Die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin werden ausgeschüttet und ab geht die Luzie! Besonders Wut wird über einen sehr kurzen neuronalen Schaltkreis im Gehirn ausgelöst. Das erklärt, warum wir vor lauter Ärger unser Handy an die Wand werfen oder andere Dinge tun und sagen, die wir hinterher bereuen, wenn die Großhirnrinde die Kontrolle zurückergattert hat.

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Zweck und Risiken der Wut

Nichts geschieht in uns ohne Grund: Emotionen wie Wut oder Angst sind dazu da, schnell auf lebenswichtige Ereignisse reagieren zu können. Doch nicht nur der feindliche Stammesfürst oder der Säbelzahntiger sind für unser limbisches System eine Bedrohung, auch verletzte Werte können sich wie ein Angriff auf die eigene Sicherheit und Identität anfühlen. Haben wir den Eindruck, dass so ein ‚Angriff‘ absichtlich geschieht, werden wir noch wütender. Zweck des Zorns ist immer, ein Hindernis oder eine Gefahr zu beseitigen, etwas zu erreichen oder davon wegzukommen. Wut mindert nämlich Angst und setzt Energien frei. Das tut Lachen allerdings auch. Die Gefahr, dass aus Wut neue Wut entsteht, die Aggression und Gewalt Tür und Tor öffnet, ist hoch. Aus diesem Grund ist die Wut das ungeliebte Kind mit dem schlechten Image – oder eben der schwarze, böse Wolf.

Doch gelegentlich braucht es die Wut, wenn es darum geht, Stopp zu sagen, Schaden abzuwenden, jemanden zu schützen oder zu bemerken, dass etwas verändert werden muss. So endet die Geschichte der beiden Wölfe ja auch nicht damit, dass du den schwarzen Wolf in dir töten sollst – wenn wir jetzt nur mal die mit ihm in Verbindung gebrachte Wut aus den oben genannten Attributen rauspicken –, sondern mit der Wahlfreiheit, wen du fütterst. Der ein oder andere Happen für ihn hin und wieder schadet möglicherweise nicht, solange du es nicht übertreibst ;-) . Um es mit Gandhi zu sagen: „Wie gespeicherte Hitze in Energie umgewandelt werden kann, so kann auch kontrollierter Zorn in eine Kraft verwandelt werden, die die Welt bewegen kann.“ Dauerhaft angestauter Zorn führt zu chronischem Stress, ruiniert die Gesundheit, schadet der Psyche und führt häufiger in destruktive Bewältigungsstrategien wie Aggression oder Drogenkonsum.

Da male, schreibe und lache ich doch lieber, wertschätze meinen schwarzen Wolf ausschließlich mit kleinen Happen für seine überlebenswichtige Schutzfunktion des Zorns, und füttere seinen weißen Bruder rund und fett, um ruhig, friedvoll und einfühlsam zu bleiben und verzeihen zu können … Die Ehre, Motiv für mein neues Logo zu sein, mich auf meinem gewählten Weg zu begleiten und mich in schwarzen Stunden daran zu erinnern, hat er sich definitiv verdient!

Umfrage zum neuen Logo

P.S.: Ja, ab und zu wird mein weißer Wolf für einen Fuchs oder etwas anderes gehalten. Die Umfrageergebnisse meiner kleinen Stichprobe nach dem Designprozess im Februar waren für mich jedoch absolut zufriedenstellend … also: es ist ein freundlicher Wolf! ;-)

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