Groll nach traumatischen Erfahrungen wie narzisstischer Manipulation kann lähmend sein, doch Vergebung ist keine Pflicht. Und schon gar nicht die einzige Lösung, um seelisch gesund zu werden. Was du stattdessen tun kannst, um dich selbst zu stärken und innere Freiheit zu gewinnen, zeige ich dir in diesem Blogpost.
Groll – ein altes Wort für ein aktuelles Gefühl
Ich arbeite mit Männern und Frauen, die privat oder beruflich von egozentrischen, empathielosen aber selbst total empfindlichen sowie hoch manipulativen Mitmenschen platt gemacht worden sind. Ausgenutzt, verarscht, missbraucht, verletzt und fallengelassen, als sie keine Energie mehr geben konnten. Manche von ihnen sehen sich als Opfer, andere als Überlebende. An niemandem geht so eine Erfahrung spurlos vorüber. Fast alle haben eine Sache gemeinsam: Sie zürnen dem extremen Narzissten, der ihnen all das angetan hat. Sie hegen Groll. Sie sind gedemütigt und beleidigt worden, haben Unrecht erlitten, sind wütend, sehen den anderen als Feind, sind anhaltend empört. Und dabei zutiefst erschöpft. Ich kann das nachvollziehen, denn ich war selbst an diesem Ort.
Groll als Keyword für einen Blogpost zu nehmen ist vielleicht keine gute Idee, da das Suchvolumen gering ist. Aber ich mag das Wort. Denn es klingt so, wie es sich anfühlt: Wie Geröll, das einem auf der Seele liegt. Wie ein Knurren, das aus tiefster Kehle kommt. Im Normalfall springen wir Betroffene den extremen Narzissten dann nicht an und schlagen ihm unsere Zähne in die Kehle, auch wenn der Impuls mehr als verständlich ist. Sondern wir ziehen uns kraftlos zurück, versuchen, den erlebten Irrsinn zu verstehen, wir lecken unsere Wunden, wir suchen vielleicht sogar die Schuld bei uns. Naja, und wir grollen halt – ein Sprichwort sagt, das sei wie selbst Gift zu trinken und zu erwarten, dass der andere stirbt.
Traumatische Erfahrung: vergeben und vergessen?
Dauerhaft Groll zu hegen ist also nicht so wahnsinnig gesund. Na, dann versuchen wir es doch mal mit der christlichen Tugend der Vergebung?! Eine Kundin erzählte mir neulich, dass sie bei einer Hypnosesitzung war, in der es darum ging, dass sie dem extremen Narzissten in ihrem Leben verzeihen sollte. Offensichtlich hatte das nicht so ganz funktioniert. Sie war nach wie vor voller Groll, und mir ist auch klar, warum.
Ich finde die Idee, dass man nach einer wie auch immer gearteten traumatischen Erfahrung dem Aggressor verzeihen müsse, problematisch. Sowohl psychologisch als auch ethisch. In einer Sitzung – sei es Coaching, Therapie oder Hypnose – unter Druck gesetzt zu werden, suggeriert zu bekommen oder auch nur im eigenen Glaubenssatz bestärkt zu werden, man müsse verzeihen, kann richtig schädlich sein.
Aus diesen Gründen:
- Die eigenen real vorhandenen Emotionen wie Wut und Schmerz zu unterdrücken oder dich deswegen schlecht zu fühlen, weil sie existieren, ist das Gegenteil von heilsamer Integration.
- Bevor Vergebung eine Option für dich sein kann, ist es möglicherweise nötig, deine Gefühle ehrlich zu benennen und anzuerkennen, dass die Erlebnisse jetzt Teil deiner Lebensgeschichte sind. Ohne, dass deshalb dein Leben ruiniert ist. Ohne, dass das jetzt für immer so bleibt mit dem Groll.
- Du kommst aus einer Beziehung, in der du klein gemacht worden bist, in der du nicht frei warst, in der deine Selbstwirksamkeit zerstört worden ist. Deshalb brauchst du jetzt die Freiheit, als erwachsener Mensch selbst zu entscheiden, ob und wann du bereit bist, einer Person, die dir übel mitgespielt hat, zu verzeihen. Das darf nicht als Idee von außen kommen – sowas nennt man „übergriffig“.
- Der Gedanke, vergeben zu müssen, kann dich zutiefst verunsichern, weil du denkst, dass es dann damit „okay“ wird, was die andere Person getan hat. Bitte sei dir gewiss, dass du das Verhalten des Täters nicht entschuldigen musst, um deine traumatischen Erfahrungen zu heilen. Manchen Leuten hilft es, aber erst, wenn sie selbst in ihrem Transformationsprozess an diesen Punkt gekommen sind. Und wenn das nie passiert, bist du deshalb trotzdem kein schlechter Mensch!
- „Vergeben und vergessen“ kann retraumatisieren: In toxischen Beziehungen kann „künstliches“ frühes Verzeihen dazu führen, dass du nach einer „Versöhnung“ wieder in die Abhängigkeit gerätst, dass du Gefahren übersiehst, keine Grenzen setzt und Gefühle verdrängst im Versuch, zu vergessen. Wohin verdrängtes Trauma führt, illustriert der berührende Film „Herr der Gezeiten“ sehr eindrücklich. Triggerwarnung: Im Film geht es um eine Vergewaltigung, über die niemals gesprochen werden durfte.
- Vergebung kann zu einer Schutzstrategie werden: Du tust so, als wäre alles wieder gut; speziell, wenn der Aggressor so tut, als hätte er sich aufrichtig entschuldigt. Er oder sie will keine Verantwortung für die eigenen Taten übernehmen. Und du verzeihst, um dem Schmerz auszuweichen und dich der Illusion hinzugeben, diese Liebe, diese Freundschaft oder dieser Job könnte doch noch schön werden. Du erhältst dann einfach regelmäßig mehr vom gleichen, dein Nervensystem leidet unter chronischem Stress, der dich in Depression, psychosomatische Beschwerden wie das „Restless-Leg-Syndrom“ oder Schlimmeres führen kann.
- Egal aus welcher Kultur du kommst, du solltest dich bitte niemals verpflichtet fühlen, zu verzeihen, nur weil es sozial erwünscht ist. Vergebung kann ein Weg der Heilung sein, doch es gibt viele weitere Optionen.
Beantworte dir ehrlich die Frage, ob du jetzt Vergebung brauchst, um selbst zu heilen? Die Vergangenheit loszulassen bedeutet nicht zwingend, dem anderen Menschen verzeihen zu müssen. Beispielsweise kann dir auch ein Ablöseritual helfen, wie ich es als geführte Meditation in meinem Shop anbiete. Schau es dir gerne mal an – und lies den Blogpost zu Ende, um weitere Tipps zu bekommen.
Bessere Wege, um Groll loszulassen und inneren Frieden zu finden
Du kannst dich von Groll, Schmerz und Zorn selbst befreien, jedoch auf eine gesunde, integrierende, heilsame Art. Vergebung mag attraktiv sein, weil sich der Verdacht aufdrängt, dass es damit ganz schnell gehen könnte, die Vergangenheit abzuhaken, wieder inneren Frieden zu spüren und glücklich zu sein. Leider ist Traumaintegration – und Erfahrungen mit extremen Narzissten sind oft stark traumatisierend! – kein Sprint, sondern eher ein Marathon.
Hier kommen Trainingsmöglichkeiten für dich:
1. Akzeptiere, dass der Schmerz real ist
- Groll entsteht oft aus einem tiefen Gefühl der Ungerechtigkeit heraus. Statt dich selbst zu drängen, zu verzeihen, kann es heilsam sein, anzuerkennen, dass das Geschehene real und schmerzhaft war.
- Du musst deshalb nicht gutheißen, was passiert ist. Doch du erlaubst dir, den eigenen Schmerz zu fühlen, ohne ihn zu verdrängen. Nur so hast du die Chance, den Schmerz zu lindern und wieder heil zu werden.
2. Nutze die Wut als Kraft
- Eingefrorene Wut äußert sich oft im Groll-Gefühl. Wütend zu sein ist in vielen Kulturen unerwünscht, speziell für Frauen – das gilt auch für Deutschland. Lies dazu gerne mehr in einem älteren Blogpost, in dem es um Wut geht. Wut und Groll sind aber nun mal da … und werden dann als verbotene Gefühle heruntergeschluckt, verdrängt, nicht be- und verarbeitet.
- Stattdessen kannst du die Kraft konstruktiv nutzen, die aus der Emotion entsteht:
- Schreibe dir alles von der Seele – so kamen mein Blog, mein Business und zu guter Letzt mein Buch überhaupt erst zustande!
- Schreibe einen Brief an den Täter (aber schick ihn nicht ab; besser geeignet sind die Rituale des Verbrennens oder Vergrabens!)
- Mache Sport: Kickboxen, Tanzen, Joggen und andere Formen, um das Erlebte körperlich zu verarbeiten
- Lerne, Grenzen zu setzen – fang niedrigschwellig an, beim unverschämten Verkäufer im Laden zum Beispiel
- Male, musiziere oder finde andere Wege, deine Energie der Wut konstruktiv-kreativ freizulassen. Vielleicht entsteht daraus ja sogar etwas richtig Schönes, was du an andere Menschen weitergeben kannst.
3. Hole dir die Macht über deine eigene Lebensgeschichte zurück
Wenn du im Groll steckenbleibst, gibst du der anderen Person dauerhaft Macht über dich und wie es dir geht. Ja, dir ist etwas Schlimmes passiert. Was wunderbar helfen kann, ist die Methode des kognitiven Reframings: Hier packst du ein hässliches Bild in einen wertvollen Rahmen. Falls du jetzt befürchtest, du sollst dir den Narzissmus deines Mitmenschen schönreden, kann ich dich beruhigen: das wird nicht passieren! Hier geht es darum, hinderliche Denkweisen zu erkennen und zu verändern.
Kognitives Reframing geht so:
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- Komme zur Ruhe und fokussiere dich, um deinen Geist zu beobachten – und zu lenken.
- Höre dir selbst beim Denken zu: Was für Selbstgespräche führst du? Welche inneren Überzeugungen erkennst du? Welche nicht hilfreichen Geschichten erzählst du dir die ganze Zeit selbst? Beispiel: „Ich kann den Job bei der Scheiß-Chefin nicht kündigen, ich würde nie wieder eine neue Stelle finden!“ oder „Ich kann mich nicht trennen, ich bin finanziell abhängig von ihm!“
- Fällt dir auch nur eine einzige Sache ein, die gegen deine Gedanken spricht? Mit welchen Gegenbeweisen oder Fakten könntest du deinen blockierenden Gedanken entkräften? Formuliere deine nicht hilfreichen Gedanken um in positive und wahrscheinliche/realistische Sätze. Beispiel: „Tina ist auch schon über 50 und hat in unserer Branche trotzdem noch einen tollen Job bekommen!“ Oder: „Ich bin finanziell gar nicht abhängig von ihm – ich kann noch ein Aktiendepot auflösen, auch wenn es mir nicht gefällt. Und ich bin in der Lage, mir wieder Arbeit zu suchen.“
- Schätze Wahrscheinlichkeitsgrade ab. Wie wahrscheinlich ist es, dass du ernsthaft krank wirst, wenn du im toxischen Umfeld bleibst? 95%. Wie wahrscheinlich ist es, dass du in den nächsten 6 Monaten keinen neuen Job findest? 40%. Welche Entscheidung würdest du treffen, wenn du deine Lebensqualität zum Maß der Dinge machst?
- Stell dir selbst Fragen:
- Wie kann ich die Situation so betrachten, dass ich meine eigene Stärke darin erkenne?
- Was habe ich durch diese Erfahrung über mich selbst gelernt?
- Wie kann ich wachsen, unabhängig davon, ob die extrem narzisstische Person je Einsicht zeigt? (Spoiler: wird sie nicht!)
- Schreibe deine Geschichte von damals aus der Perspektive deines heutigen, stärkeren Selbst um. Oder aus der Perspektive der Person, die du in z.B. 6 Monaten / 1 Jahr / 5 Jahren gerne wärst.
- Reflektiere, wie sich deine Gedanken und Gefühle durch das Reframing verändert haben. Gedanken machen Gefühle und Gefühle machen Gedanken. Hast du neue Energie bekommen?
Fazit
Du musst nicht verzeihen, um deinen Groll zu transformieren. Stattdessen kannst du dich selbst ermächtigen, deine Gefühle verarbeiten und dich bewusst abgrenzen. Methoden wie Wut-Kanalisation, Ablöse-Meditation oder Reframing helfen dir dabei. Im nächsten Blogpost stelle ich dir ergänzend eine weitere Methode namens „Effective Blaming“ vor.
Was du jetzt für dich tun kannst:
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Nimm ab März an meinem neuen Resilienzprogramm für Narzissmus-Geschädigte teil. Dort erhältst du noch viel mehr kraftvolle Tools wie Reframing & Effective Blaming.
Teste dich selbst, wo du auf der Narzissmus-Skala stehst: Wir sind da alle drauf!
Lass dich von mir 1:1 begleiten, wenn du Unterstützung auf deinem Weg brauchst. Es darf um dich gehen und du kannst über das, was dir passiert ist, hinauswachsen. Hier sicherst du dir ein Erstgespräch mit mir.
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